Schon als ich ein kleines Kind war, stand ich neben dem Badmintonfeld und schaute meinen Eltern gespannt beim spielen zu. Später begann ich selber zu spielen und die Trainingshäufigkeit steigerte sich von Jahr zu Jahr. Ich wurde in das regionale und nationale Kader aufgenommen und gefördert. Ich liebte Badminton, es war meine Leidenschaft und mein Leben. Ich investierte alles in den Leistungssport um besser zu werden. So begann ich nach der Sekundarschule das Sport-KV. Obwohl ich die Noten für das Gymnasium gehabt hätte, entschied ich mich für die kaufmännische Ausbildung, um meine Leidenschaft Badminton weiter zu verfolgen, täglich zu trainieren, ins Ausland an Turniere zu reisen und Erfolge zu feiern. Durch meine Neigung zum Perfektionismus spürte ich einen gewissen Druck von mir selbst und mit der Zeit auch von aussenstehenden Personen (z.B. Lehrpersonen und Mitschüler). Dies störte mich zu dieser Zeit nicht, da ich sowieso alle Erwartungen zu erfüllen versuchte. Je älter ich wurde, desto häufiger wurden diese Ambitionen und Gefühle zur Belastung. Ich sprach nie mit jemandem darüber. Nicht einmal mit meiner Familie, die mir sehr am Herzen liegt, noch mit meiner damals besten Freundin. Wir lernten uns durch das Badminton gut kennen und wurden unzertrennlich. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass unsere Freundschaft zerbrechen könnte. Als ich im zweiten Lehrjahr war, bereiteten wir uns mit der Nationalmannschaft auf die Junioren-Europameisterschaft in der Türkei vor. Das war der Saisonhöhepunkt. Schon vor dem Turnier begann ich mich zeitweise über meine Freundin zu ärgern. Weiter wurde ich an einem Turnier von einem Trainer bezüglich dem Essen angesprochen: «Immer wenn ich dich sehe, bist du am essen». Ich fühlte mich überrumpelt und wusste nicht, was ich antworten sollte. Bis dahin ass ich ganz normal, gedankenlos nach Lust und Hungergefühl und manchmal auch ein bisschen darüber hinaus. Nach dieser Anmerkung des Trainers betrachtete ich mich zu Hause etwas genauer im Spiegel und sah ein, dass ich schon ein wenig schauen muss und zwei bis drei Kilo abnehmen sollte. Ich beschloss, bis auf weiteres auf Süssigkeiten zu verzichten, was mir zu Beginn gar nicht leicht gefallen ist. Bis zu der Europameisterschaft nahm ich bereits an Gewicht ab, doch es wurde nicht bemerkt und ich erhielt keine Komplimente. An der Europameisterschaft in Ankara fühlte ich mich oft als das «5. Rad am Wagen» und ich spürte wie der Kontakt zu meiner Freundin mit der Zeit abbrach. Ich fühlte mich alleine. Hinzu kamen Aussagen der Mannschaftskollegen wie: «Ihr Mädchen habt ja Monsteroberschenkel!» Früher belasteten mich diese lustig gemeinten Aussagen kaum, doch nun blieben sie in meinen Kopf und regten mich zum Nachdenken an. So kam die Magersucht definitiv ins Rollen. Eine meiner Schwächen im Sport war die Schnelligkeit. Ich war zu dieser Zeit überzeugt, dass ich diese Schwäche mit weniger Gewicht verbessern könnte. Es stellte sich schnell heraus, dass dies eine Illusion war, doch ich war der Krankheit bereits verfallen. Trotz Gewichts- verlust und Essstörung konnte ich noch ungefähr zwei Jahre lang Leistungssport betreiben. Danach war meine Juniorenzeit zu Ende und für das Elitekader reichte es, vor allem körperlich, nicht. Zu Beginn war ich enttäuscht, doch dann entschied ich mich für einen Sprachaufenthalt im Ausland, begann mit der Berufsmatura und spielte Badminton bis auf weiteres als Hobby. Ich dachte mir, dass ich so wieder zu Kräften komme könnte und an Gewicht zunehmen würde. Doch das war leichter gesagt als getan und es wurde alles anders. Die Magersucht wurde immer schlimmer, denn durch den Wegfall des Leistungssports entstand ein grosses Loch in meinem Alltag. «Was sollte ich nun machen und in meinem Leben erreichen?» oder «Was sind meine Ziele?» dies waren Fragen auf die ich keine Antwort wusste. Ich lebte einfach, spulte Tag für Tag ab und das mit immer weniger Freude, keinem Genuss und keinem Sinn mehr. Ich spürte wie meine Leistungsfähigkeit geringer wurde, doch ich konnte und wollte es nicht einsehen. In der Schule, beim Lernen und bei der Arbeit nahm meine Konzentration ab, die Gedanken schweiften immer öfters ab und waren beim Essen oder bei der Planung des aktuellen oder sogar schon des nächsten Tages. Auch im Badminton spürte ich, dass ich mich nicht mehr so bewegen konnte, wie ich es aus früheren Zeiten gewohnt war. Diese Tatsachen schmerzten, doch es war nicht genug schlimm, um an meinem Leben etwas zu ändern. Obwohl ich keinen Leistungssport mehr betrieb, hatte ich das Gefühl, mich jeden Tag bewegen und körperlich etwas leisten zu müssen. Da mir dies aber peinlich war, machte ich den Sport teilweise heimlich, was anstrengend war. Ich musste den Sport immer planen, damit er nicht bemerkt wurde. Ich war total gestresst und hoffte, dass es dem Umfeld (z.B. Nachbarn) nicht auffiel. Zusätzlich ass ich immer weniger. Ich kam aus diesem Teufelskreis nicht mehr heraus und es machte mich kaputt. Ich merkte nun selbst, dass ich krank war und es nicht mehr aushielt. Mein zwanghaftes Verhalten und meine ständigen Kontrollen erlebte ich als mühsam. Das sehr gute Verhältnis zu meiner Familie drohte zu zerbrechen, denn sie konnten meine Situation nicht mehr länger mitansehen. Kurz vor meinem 20. Geburtstag sprachen mich meine Mutter und meine Schwester an und beide empfahlen mir einen stationären Klinikaufenthalt. Ich nahm mir dies zu Herzen und begann mich zu informieren. Ich konnte zu zwei Erstgesprächen, unter anderem in der Klinik Wysshölzli. Glücklicherweise entschied ich mich für diese Variante, denn hier begann, so habe ich das Gefühl, mein Weg zurück ins Leben. Ich habe bereits vieles gelernt und mir wurde bewusst wie wichtig professionelle Hilfe ist, um gegen die Magersucht zu kämpfen.
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