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Interview Frau D. - Diagnose Abhängigkeitserkrankung

Weshalb haben Sie sich für einen Klinikaufenthalt entschieden?

Ich habe mich aus eigenem Willen für einen Klinikaufenthalt im Wysshölzli entschieden, weil mich das Therapieangebot sehr angesprochen hat. Aufgrund meiner Arbeitssituation war es mir wichtig, einen Sozialdienst in Anspruch nehmen zu können und zudem legte ich grossen Wert darauf, dass ich nach dem stationären Aufenthalt auch weiter begleitet werde. Ich habe mir den Prospekt der Klinik angeschaut und das Klinikgebäude mit den roten Fensterläden gesehen, welches mich an das Haus meiner Grossmutter erinnerte. Zudem entsprach mir die Vorstellung, in einer Klinik nur für Frauen behandelt zu werden. Da war ich mir sicher, dass ich in diese Klinik eintreten möchte.

Mit welchen Ängsten oder Befürchtungen sind Sie in die Klinik eingetreten?

Ich hatte keine Bedenken, als ich in die Klinik eingetreten bin, da ich für mich wusste, dass es für mich die richtige Entscheidung ist. Als ich für den Info-Nachmittag zum ersten Mal in die Klinik gefahren bin, bestätigte sich meinen Eindruck, dass ich mich hier wohlfühlen kann. Meine einzige Sorge war, dass ich während des Klinikaufenthaltes meine Katzen alleine lassen muss.

Gab es einen bestimmten Auslöser, dass Sie sich für eine Veränderung entschieden haben?

Kurz vor Eintritt habe ich meinen Job aufgrund der Geschäftsaufgabe verloren und mein Alkoholkonsum wurde immer grösser. Zudem hatte ich einen Suizidversuch mit Tabletten und Alkohol hinter mir. Zu diesem Zeitpunkt habe ich gemerkt, dass ich mir selber nicht mehr weiter helfen kann und mir vom Umfeld nicht mehr helfen liess.

Erzählen Sie uns, welche Ereignisse aus ihrer Kindheit sowie aus ihrem bisherigen Leben sie geprägt haben

An meine Kindheit kann ich mich eigentlich nicht mehr wirklich erinnern, vielleicht habe ich diese Erinnerungen verdrängt, ansonsten kommen mir nur negative Erlebnisse in den Sinn. Ich habe sehr viele Todesfälle erlebt, so ist z.B. mein Vater verstorben als ich ein Jahr alt war oder mein Bruder, als ich zehn Jahre alt war. Ich war von sechs Kindern die Jüngste. Die Geschwister sind alle früh weggezogen und ich blieb als Einzige zu Hause zurück. Aus diesem Grund bin ich früh ausgezogen, da ich mich zu Hause unwohl fühlte. Die Beziehung zu meiner Mutter war stets sehr konfliktreich, nach meinem Wegzug von zu Hause hatte ich etwa 13 Jahre keinen Kontakt mehr zu meiner Familie. Schon seit sehr früh war ich auf mich alleine gestellt und habe immer sehr viel gearbeitet. Aus meiner ersten Ehe stammt meine Tochter. Danach war ich ein zweites Mal verheiratet – auch diese Ehe dauerte etwa zehn Jahre. Mein zweiter Exmann, mit dem ich ein Restaurant geführt habe, hat ebenfalls grössere Mengen Alkohol getrunken und durch das Gastgewerbe war ich immer an der Alkohol-Quelle. 2006 erfolgte mein erster stationärer Aufenthalt in der Forel Klinik, danach lebte ich für etwa sechs Jahre abstinent.

Welche Ursachen erkennen Sie für die Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit?

Ich habe in meinem Leben schon sehr viele Todesfälle erlebt. Die verschiedenen Todesfälle haben mich sehr geprägt und aufgrund dieser Erfahrungen habe ich starke Verlustängste entwickelt. So zum Beispiel, als meine Tochter zur Welt kam, lebte ich in ständiger Angst, sie zu verlieren. Zudem entwickelte ich die Überzeugung, dass Beziehungen zeitgleich immer bedeuten, leiden zu müssen. Zudem lernte ich nie einen richtigen Umgang mit meinen Emotionen, diese habe ich jeweils sehr stark erlebt. Ich habe mich häufig nicht verstanden gefühlt von anderen Personen und konnte deshalb nicht über meine Schwierigkeiten oder Probleme sprechen. Dazu sind familiäre Konflikte mit meinem Exmann dazugekommen, der selber regelmässig Alkohol konsumierte. Wenn ich zurückblicke auf mein Leben, habe ich fast die ganze Zeit nur gearbeitet und funktioniert. Die längste Zeit habe ich im Gastgewerbe gearbeitet, jeweils mit sehr unregelmässigen Arbeitszeiten. Dazu kamen starke Rücken­schmerzen, welche ich aufgrund meiner Thrombozytopenie nicht medikamentös behandeln konnte. So half mir der Alkohol, die Schmerzen zu dämpfen, und nach der Arbeit konnte ich dadurch besser abschalten.

Was waren die grössten Herausforderungen, mit denen Sie während des Klinikaufenthaltes zu kämpfen hatten?

Das Schwierigste während des Klinikaufenthaltes war für mich, diese Stellen anzuschauen, welche ich jahrelang vermieden habe. Es brauchte für mich sehr viel Mut, diese schwierigen Situationen anzugehen und vor allem auch die schwierigen Gefühle aushalten zu können, welche damit verbunden waren. Durch diese Konfrontation konnte ich die vergangenen Ereignisse noch einmal aufgreifen und neu bewerten. Eine weitere Herausforderung für mich war, einen Umgang mit Situationen zu finden, welche ich nicht verändern kann. Für mich war es schwierig zu erlernen, wie ich Gegebenheiten so akzeptieren kann, wie sie sind.

Sie sind nun nach fünf Monaten am Ende ihrer stationären Therapie angelangt; welche Veränderungen (positive und negative) haben Sie festgestellt?

Seit dem Klinikaufenthalt habe ich viele Veränderungen festgestellt. Ich bin fröhlicher geworden, habe vermehrt gute Laune, sehe Dinge im Alltag wieder positiv, bin unternehmungslustiger, zuversichtlicher, entspannter und kommunikativer. Und seit über fünf Monaten habe ich nichts mehr getrunken. Ich habe auch bemerkt, dass ich offener auf Menschen zugehen und vermehrt Nähe zulassen kann.

Was waren die wichtigsten Erfahrungen für Sie in der Klinik und was nehmen Sie mit nach Hause?

Ich konnte in jeder Therapie wichtige Erfahrungen sammeln, welche ich auch mit nach Hause nehmen kann. In der Kunsttherapie konnte ich z.B. von dem kreativen Arbeiten profitieren, konnte neue Techniken entdecken, meine Gefühle ausdrücken und war während diesen Prozessen stets begleitet und nicht auf mich alleine gestellt. In den Körpertherapien lernte ich, mich selbstständig zu entspannen und Achtsamkeitsübungen zeigten mir, wie ich mich im Leben bewusster bewegen kann und nicht alles auf einmal erledigen muss. In der Skillsgruppe erlernte ich neue Strategien, wie ich mit schwierigen Situationen umgehen kann, welche mir vorher gar nicht bekannt waren. Dadurch kann ich mich im Alltag anders verhalten als bisher. In der Einzelpsychotherapie hatte ich die Möglichkeit, über alles, was mich beschäftigte, zu sprechen. Ich habe mich dort verstanden und ernstgenommen gefühlt. Erst aufgrund dieser vertrauensvollen Beziehung war es mir möglich, Mut zu fassen, um über schwierige Situationen zu sprechen.

Wie geht es für Sie nach dem Klinikaufenthalt weiter?

Ich werde weiterhin ambulant zur Psychotherapie und Kunsttherapie ins Wysshölzli kommen. Zusätzlich werde ich eine weitere Maltherapie sowie eine Gesprächsgruppe des Blauen Kreuzes besuchen. Dort werde ich täglich Atemlufttest durchführen lassen. Daneben möchte ich mein soziales Netzwerk vermehrt pflegen und gemeinsam mit dem RAV bin ich auf Stellensuche für eine neue Arbeit.

Was möchten Sie anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Ich möchte jede betroffene Person dazu ermutigen, etwas gegen die Erkrankung zu unternehmen. Man sollte sich die Abhängigkeit eingestehen und Hilfe annehmen. Wenn man sich für eine Therapie entscheidet, ist es wichtig, die Therapien ernst zu nehmen, sowie ehrlich und geduldig mit sich selber zu sein. Für jeden Betroffenen sollte, wenn möglich, das Ziel die definitive Abstinenz sein.

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