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Erfahrungsbericht Frau U. - Diagnose Abhängigkeitserkrankung und Bulimie

Dass ich Hilfe benötigte, war mir nie richtig bewusst gewesen, so sah ich einfach nur mein Leben als Trümmerhaufen und mich als Versagerin. Ich hatte die Kontrolle über meinen Alkoholkonsum schon längst verloren und mein Essverhalten empfand ich als anormal und komisch, an eine Essstörung hatte ich nie gedacht. Beschaffungs- und Entsorgungsstress, Geldsorgen, Gewichtsprobleme, alles verheimlichen, schauen dass niemand merkt was da hinter meinem Lächeln steckt, so habe ich Jahre lang gelebt und es hat mich kaputt gemacht. Es hatte mehrere Anläufe gebraucht, um zu begreifen was mit mir los ist und zu begreifen, dass ich professionelle Hilfe brauche. Mir fehlte das Bewusstsein, dass es Hilfe für Leute wie mich gab, denn schliesslich muss ich mich nur zusammen reissen und beherrschen. Doch das ist leichter gesagt als getan. Zudem war ich der festen Überzeugung, dass ich kein Recht auf Hilfe hatte, denn schliesslich gibt es viele andere Menschen die sie viel nötiger hatten als ich, mir steht das doch gar nicht zu. Eine Freundin sprach mich auf meinen Alkoholkonsum an. Einerseits war ich total beschämt, andererseits fiel mir eine grosse Last von der Schulter, endlich wird mir geholfen. So kam ich in den Entzug und nach dem Entzug in die Klinik Wysshölzli.

Innerlich habe ich mich geweigert, denn drei Monate kamen mir übertrieben lang vor, andererseits fiel der Druck von mir ab alles in möglichst kurzer Zeit zu bewältigen. Ich war übermotiviert mein ganzes Leben umzukrempeln, alles sollte sich verändern. Doch ich belog mich die ganze Zeit selbst, von meinen Problemen mit dem Essen sprach ich erst gar nicht; „Das löst sich dann von alleine, ich kann ja etwas bei den Esspatienten „abgucken“. Naja, so war das dann nicht. Ich kam in eine wundervolle, für mich ganz neue Welt. Die Therapeuten waren alle sehr liebevoll, ich wurde als Mensch beachtet, man nahm mich ernst und es wurde für mich gesorgt. So machte ich meine ersten Erfahrungen mit Kunsttherapie, wo ich Freude für künstlerische Tätigkeiten entwickelte. Ich lernte Menschen kennen die ähnliche Probleme hatten wie ich, konnte Erlebnisse austauschen und merkte, dass ich doch nicht so alleine war wie ich immer dachte. Ich genoss die Therapien und war motiviert etwas zu ändern, jedoch war ich nicht achtsam mir gegenüber. Ständig hab ich mich selbst belogen und übergangen. Sachen, die mir unangenehm waren, liess ich einfach über mich ergehen, schliesslich muss es doch einfach gehen, bei den anderen klappt es ja auch. Meine Bedürfnisse nahm ich nicht wahr, was wirklich in mir vorging konnte ich nicht sagen, ich war total überfordert mit mir und wollte einfach möglichst schnell gesund werden und ein neues Leben beginnen. So steigerte sich mein Selbsthass unaufhörlich. Schliesslich konnte ich all meinen Frust in mich hineinstopfen und wieder erbrechen, das blieb mir ja noch, ich wollte ja niemandem davon erzählen, das war doch alles was ich noch hatte.

Natürlich flog ich kurz vor Austritt auf, was nicht gerade gute Voraussetzungen für mich waren. Auch Rückfälle mit Alkohol kamen immer wieder vor, ich konnte mir einfach nicht vorstellen mein ganzes Leben abstinent zu sein. Ich scheiterte, alles was ich mir vorgenommen hatte konnte ich nicht umsetzen. Mir fehlte die liebevolle Umgebung und ich fühlte mich total einsam und verlassen. Schnell fiel ich in meine alten Muster zurück und erweiterte diese mit noch mehr destruktiven Verhaltensweisen. Weitere Entzüge folgten, haben mir jedoch nicht viel gebracht, so entschied ich mich nochmals für das Wysshölzli, mit meinem Wissen über Scheitern entschied ich mich erneut für Herzogenbuchsee. Ich wusste, dass die Therapien, wenn ich sie richtig nützen würde, mir enorm helfen werden. Diesmal wollte ich ehrlich sein, was ich auch grösstenteils war. Das ermöglichte mir viel, ich konnte ansprechen, wenn etwas schwierig für mich war. Die Körpertherapie war eine ganz andere Erfahrung, ich nahm bewusst wahr was mir schwerfiel. So wurde individuell auf mich eingegangen, ich konnte Übungen für mich machen, mich selber reflektieren und so für mein Wohlergehen einstehen. Die Achtsamkeit mir gegenüber war neu für mich, ich musste lernen auf meine Bedürfnisse zu achten und diese ernst zu nehmen. Dies fällt mir noch immer nicht leicht, aber ich erkenne auch Fortschritte bei mir. In den verschiedenen Kunsttherapien konnte ich nun annehmen, wenn ein bestimmtes Thema viel in mir auslöst, es machte mir Freude mich mit Farben, Ton und vielem mehr auszudrücken. Der Umgang mit den Patientinnen war äusserst liebevoll und ich fühlte mich sehr gut aufgehoben. Alles veränderte sich plötzlich, in der Einzeltherapie konnte ich mein Verhalten analysieren, Rückfälle besprechen und Hochrisikosituationen erkennen.

Natürlich gab es Zeiten, wo ich versuchte Sachen zu verheimlichen, für viele Sachen habe ich mich ständig geschämt. Mir wurde jedoch immer klarer, dass ich durch das Verheimlichen schneller wieder in alte Muster zurückfalle und ich mir damit nur selber schade. Durch die Transparenz und das Verständnis wurde mir mein Verhalten bewusster und ich fühlte mich gut aufgehoben und gestützt. Nun wo ich offen über alles redete, fühlte ich mich weniger alleine mit meinen Problemen. Es gibt so viele Menschen denen es ähnlich geht wie mir, so halfen mir auch Gespräche unter Mitpatientinnen enorm weiter und tolle Freundschaften entwickelten sich. In der Ernährungsberatung sowie in der Kochgruppe lernte ich den Umgang mit dem Essen. Mir wurde bewusst, dass es völlig okay ist normale Portionen zu essen. Ich begann zu verstehen, was ich meinem Körper mit dem ewigen Erbrechen, Hungern und den Abführmitteln angetan hatte. Mein Bezug zum Essen hat sich enorm verbessert. Ich lernte einen Umgang mit der Essstörung zu finden, mich nicht zu stark zu verurteilen. Dieses Thema wird mich noch lange begleiten, jedoch fühle ich mich gestärkt mit all dem Wissen und bin zuversichtlich dass ich die Bulimie irgendwann ganz hinter mir lassen kann.

Das ganze Therapienetz in der Klinik Wysshölzli ist gut aufeinander abgestimmt. Die Kommunikation stimmt, ich wurde ernstgenommen, erhielt die Unterstützung die ich brauchte, sei es von ärztlicher und therapeutischer Seite wie auch im Umgang mit Geld oder Bürokratie. Man half mir zu verstehen wieso ich rückfällig wurde. Es hatten sich enorme Ängste entwickelt, was zum Ausbildungsabbruch führte. Nun wurde ich unterstützt bei meinem Wunsch meine Heimat zu verlassen und in einer neuen Umgebung Fuss zu fassen. Man half mir einen Platz in einem betreuten Wohnen zu finden und setzte sich für mich ein. Bestimmte Veränderungen sind notwendig um Rückfälle vorzubeugen. Eine gute Nachbetreuung ist wichtig, man wird unterstützt und es wird geschaut, dass das ambulante Setting gut aufgebaut ist. Drei Jahre infolge war ich in der Klinik Wysshölzli. Jedes Mal bin ich einen Schritt weiter gekommen, konnte immer wieder mehr dazu lernen. Es hat viel Überwindung gebraucht immer wieder Hilfe anzunehmen, die Scham war gross, aber trotz meinen Befürchtungen wurde ich nie verurteilt. Ich blicke auf eine lange und intensive Zeit im Wysshölzli zurück, mit vielen schönen und schwierigen Momenten. Ich bin dankbar für all das Erlernte, freue mich über die vielen Fortschritte und werde motiviert weiter an mir arbeiten.

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