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Interview Frau F. - Diagnose Binge Eating

Ab welchem Punkt wurde Ihnen klar, dass sie ein Problem haben und Hilfe benötigen?
Bereits vor längerer Zeit hatte ich den Eindruck, mit Essen meine Gefühle zu kompensieren. Ich erhielt eine Jobabsage woraufhin ich innerhalb von drei Wochen acht Kilo zugenommen habe. Vor sechs Monaten merkte ich, dass ich mich bei der Arbeit nicht mehr konzentrieren konnte, ständig gereizt war. In dieser Zeit war ich auch sehr dünnhäutig. Meine Gedanken kreisten ständig um das Abnehmen, das Essen und je mehr ich versuchte streng mit mir zu sein, desto massloser wurde ich beim Essen und die Essanfälle häuften sich bis zu einmal täglich, was zu einer weiteren Gewichts­zunahme von sieben Kilo führte. Ich konnte diese Gedankenspirale nicht unterbrechen. Eine Magen­bypass Operation kam für mich nicht in Frage, da ich eine psychische Ursache für die Ess­anfälle vermutete. So entschied ich mich für einen Klinikaufenthalt.

Was vermuten Sie als Ursache der Störung? Welchen Sinn erfüllt die Krankheit?
Ich habe das Gefühl, ich muss alles richtig machen und darf mir keine Fehler erlauben. Mit dem Essen kann ich diese Kontrolle abgeben, da ich damit nur mir selber schade und niemand anderem. Essen machte mich wenigstens kurzzeitig glücklich. Essen ermöglichte mir, unangenehme Gefühle zu beseitigen.

Sie sind jetzt 11 Wochen in der Klinik Wysshölzli, was für Veränderungen (positive und negative) stellen sie fest?
Ich habe abgenommen, was ich als positiv erachte. Ich habe auch mehr Kondition. Ich habe ange­fangen zu überlegen was ich will und nicht was Andere von mir erwarten. Das ist einerseits positiv, weil ich mir selber auf einmal wichtig bin, was mich immer noch etwas befremdet. Andererseits führt auch genau das zu Verun­sicherung. Ich beginne gewisse Dinge zu hinterfragen wie, „will ich diesen Job den ich habe wirklich, oder bin ich nur dort weil ich es mir gewohnt bin?“, „will und muss ich immer diejenige in Beziehungen sein, die alles gibt und nichts erwartet?“. Ich bin mir bewusst geworden, dass ich auf meine eigenen Bedürfnisse achten und sie äussern muss. Ich habe lange Zeit keine Anforderungen gestellt oder Wünsche geäussert aus Angst, verlassen zu werden. Um dieses Ungleichgewicht aufzuheben habe ich gegessen, um meine Bedürf­nisse selber zu stillen, wenigstens für einen Moment. Dessen bin ich mir bewusst geworden und will dies nun ändern.

Welche Erfahrungen konnten Sie in dieser Zeit machen?
Die regelmässigen Mahlzeiten essen zu müssen nimmt den Druck und das schlechte Gewissen beim Essen. Ich habe festgestellt, dass ich alles essen darf und trotzdem abnehme, was eine Erleichterung für mich ist. Ich habe in der Zeit wieder alte Dinge reaktiviert, die ich aufgegeben hatte und mir jetzt immer noch gut tun. Beispielsweise Malen oder Schwimmen.

Was sind die grössten Herausforderungen im Kampf gegen die Krankheit?
Ich bin nun seit 11 Wochen hier im Wysshölzli und hatte in dieser Zeit keine Essanfälle mehr. Letztes Wochenende kam ich zu meiner bisher größten Herausforderung, denn ich segelte knapp an einem Essanfall vorbei. In den letzten 3 Wochen hat sich bei mir viel angestaut. Ich musste jetzt fest­stellen, dass diese Essanfälle ein Teil von mir sind und nicht plötzlich „weg sind“ nur weil ich aktuell keine mehr habe. Mir wurde bewusst, dass ich immer damit Kämpfen werde, auch in Zukunft, aber dass es leichter werden wird, auf Essanfälle zu verzichten. Denn dieses Mal merkte ich, „Wenn du so weiter machst, weißt du wie es endet“ und ich konnte einen anderen Weg einschlagen. Eine weitere Herausforderung ist, sich dem allem zu stellen. Ich muss und möchte mich aktiv mit dem Binge-Eating auseinandersetzen, um meine Muster zu erkennen und Maßnahmen zu erlernen, die mir helfen „glücklich“ zu werden ohne dafür zu Essen. Dies ist mit vielen Emotionen und zum Teil mit Schmerz verbunden, aber es hilft!

Welche Therapien unterstützen Sie am meisten?
Ich kann nicht sagen, welche Therapie mich am meisten unterstützt, denn ich erlebe die verschiedenen Therapien als Zusammenspiel miteinander, welche im Ganzen sehr hilfreich sind. Das Nordic Walking, das Schwimmen und die achtsame Körperwahrnehmung, haben mir geholfen, wieder ein anderes Bewusstsein meinem Körper gegenüber zu gewinnen. Dies alles hat bei mir auch viel ausgelöst, was ich im Körper gespeichert hatte. Die Kunsttherapie hilft mir wieder kreativ zu sein und Gefühle auszu­leben. Die Gespräche die sich mit der Kunsttherapeutin ergeben helfen mir auch, da ich dadurch noch eine andere Sicht der Dinge erhalte. Dies und vieles mehr bespreche ich dann in der Psychotherapie. Dies hilft mir meine Gedanken zu ordnen und mein Verhalten aufzudecken, die mir vorher nicht bewusst waren. So kann ich sie dann ändern. Auch die Gespräche mit der Sozialarbeiterin helfen mir, mein Leben zu Hause neu aufzugleisen.

Welche Ängste bezüglich des Klinikaufenthaltes in der Klinik Wysshölzli erwiesen sich als unbegründet?
Dies ist mein erster Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik und der Einritt war mit vielen Ängsten verbunden. Ich wusste nicht, wie die Mitpatientinnen sind, ob es schwierig sein wird, weil es auch nicht übergewichtige Frauen hat. Ich befürchtete, dass ein Konkurrenzgefühl entsteht und man wetteifert wer dünner ist. Dies ist gottseidank nicht der Fall. Ich befürchtete auch, dass alles was ich sage auf die Goldwaage gelegt wird und in alles etwas hineininterpretiert wird. Dies ist auch nicht so.

Was hätten Sie sich zusätzlich gewünscht?
Nichts, es ist gut so wie es war.

Was können Sie anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?
Die Therapie ist anstrengend, reisst alte Wunden auf, tut weh und ist mit viel Gefühlschaos verbunden. Ich hab mich auch manchmal gefragt, ob es richtig war herzukommen, da es so viel aufwühlt. Heute weiss ich, es lohnt sich!! Ich hab viel über mich gelernt und beginne langsam mich zu verstehen und Entscheidungen für MICH zu treffen und dies ist ein tolles Gefühl. Leider kann ich nicht immer so denken, aber es kommt. Also liebe Frauen, es wird sich lohnen, wenn ihr bereit seid, hinzusehen!

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